Montag, 12. Januar 2009

Lesung

1. Korinther, 13:
"Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete, hätte aber die Liebe nicht, so wär ich nur ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich die Prophetengabe hätte und durchschaute alle Geheimnisse, und besäße alle Erkenntnis, und wenn ich allen Glauben hätte, so daß ich Berge versetzte, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen zuteilte, und wenn ich meinen Leib den Flammen preisgäbe, hätte aber die Liebe nicht, so nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Die Liebe ist nicht eifersüchtig. Sie prahlt nicht, sie überhebt sich nicht. Sie handelt nicht unschicklich, sucht nicht das Ihre, kennt keine Erbitterung, trägt das Böse nicht nach. Am Unrecht hat sie kein Gefallen, mit der Wahrheit freut sie sich. Alles erträgt sie, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles duldet sie. Die Liebe hört niemals auf: Prophetengaben verschwinden, Sprachengaben hören auf, Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser Prophezeien. Kommt aber die Vollendung, so hört das Stückwerk auf. Als ich noch ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind, urteilte ich wie ein Kind. Als ich ein Mann geworden, legte ich das Kindhafte ab. Jetzt schauen wir durch einen Spiegel- unklar. Dann aber von Angesicht zu Angesicht. Noch ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich so erkennen, wie ich selbst erkannt bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei. Am höchsten aber steht die Liebe. Trachtet nach der Liebe.



Unsere Liebe darf nicht aus leeren Worten bestehen. Es muß wirkliche Liebe sein, die sich in Taten zeigt. 1. Johannesbrief 3,


Lesung, nicht biblisch:


Die Liebe

Vor langer, langer Zeit existierte eine Insel,
auf der alle Gefuehle der Menschen lebten:
"Die gute Laune", "Die Traurigkeit", "Das Wissen"
und so wie alle anderen Gefuehle, auch "Die Liebe".
Eines Tages wurde den Gefuehlen mitgeteilt, dass die Insel sinken wuerde.
Also bereiteten alle ihre Schiffe vor und verliessen die Insel.
Nur die Liebe wollte bis zum letzten Augenblick warten.
Bevor die Insel sank, bat die Liebe um Hilfe.
Der Reichtum fuhr auf einem luxurioesen Schiff an der Liebe vorbei.
Die Liebe fragte: "Reichtum, kannst Du mich mitnehmen?"
"Nein, ich kann nicht. Auf meinem Schiff habe ich
viel Gold und Silber, da ist kein Platz fuer Dich."
Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem wunderbaren Schiff vorbeikam:
"Stolz, ich bitte Dich, kannst Du mich mitnehmen?"
"Liebe, ich kann Dich nicht mitnehmen," antwortete der Stolz,
"hier ist alles perfekt. Du koenntest mein Schiff beschaedigen".
Also fragte die Liebe die Traurigkeit, die an ihr vorbeiging:
"Traurigkeit, bitte, nimm mich mit."
"Oh Liebe", sagte die Traurigkeit,
"ich bin so traurig, dass ich alleine bleiben muss."
Auch die Gute Laune ging an der Liebe vorbei,
aber sie war so zufrieden, dass sie nicht hoerte, dass die Liebe rief.
Ploetzlich sagte eine Stimme: "Komm, Liebe, ich nehme Dich mit."
Es war ein Alter, der sprach.
Die Liebe war so dankbar und so gluecklich,
dass sie vergass, den Alten nach seinem Namen zu fragen.
Als sie an Land kamen, ging der Alte fort.
Die Liebe bemerkte, dass sie ihm viel schuldete und fragte das Wissen:
"Wissen, kannst Du mir sagen, wer mir geholfen hat?"
"Es war die Zeit", antwortete das Wissen.
"Die Zeit?", fragte die Liebe, "warum hat die Zeit mir geholfen?"
Und das Wissen antwortete: "Weil nur die Zeit versteht,
wie wichtig die Liebe im Leben ist".

"Der Prophet"
von Khalil Gibran

Von der Ehe

Und wieder ergriff Almitra das Wort und sprach: "Und wie ist es um die Ehe, Meister?" Und er antwortete also:
Vereint seid ihr geboren, und vereint sollt ihr bleiben immerdar.
Ihr bleibt vereint, wenn die weißen Flügel des Todes eure Tage scheiden.
Wahrlich, ihr bleibt vereint selbst im Schweigen von Gottes Gedenken.

Doch lasset Raum zwischen eurem Beinandersein, und lasset Wind und Himmel tanzen zwischen euch.
Liebet einander, doch macht die Liebe nicht zur Fessel:
Schaffet eher daraus ein webendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen.
Füllet einander den Kelch, doch trinket nicht aus einem Kelche.
Gebet einander von eurem Brote, doch esset nicht vom gleichen Laibe.
Singet und tanzet zusammen und seid fröhlich, doch lasset jeden von euch allein sein.
Gleich wie die Saiten einer Laute allein sind, erbeben sie auch von derselben Musik.
Gebet einander eure Herzen, doch nicht in des andern Verwahr.
Denn nur die Hand des Lebens vermag eure Herzen zu fassen.

Und stehet beieinander, doch nicht zu nahe beieinander:
Denn die Säulen des Tempels stehen einzeln.
Und Eichbaum und Zypresse wachsen nicht im gegenseitigen Schatten.





Kurzversion von: "Der kleine Prinz"

...Da war ein blühender Rosengarten. "Guten Tag", sagten die Rosen. Der kleine Prinz sah sie an. Sie glichen alle seiner Blume. "Wer seid ihr?" fragte er sie höchst erstaunt. "Wir sind Rosen", sagten die Rosen. "Ach!" sagte der kleine Prinz...Und er fühlte sich sehr unglücklich. Seine Blume hatte ihm erzählt, daß sie auf der ganzen Welt einzig in ihrer Art sei. Und siehe!, da waren fünftausend davon, alle gleich, in einem einzigen Garten! Sie wäre sehr böse, wenn sie das sähe, sagte er sich...sie würde fürchterlich husten und so tun, als stürbe sie, um der Lächerlichkeit zu entgehen. Und ich müßte so tun, als pflegte ich sie, denn sonst ließe sie sich wirklich sterben, um mich auch zu beschämen...Dann sagte er sich: Ich glaubte ich sei reich durch eine einzigartige Blume und ich besitze nur eine gewöhnliche Rose.... Und er warf sich ins Gras und weinte. [...] Dann traf der kleine Prinz einen Fuchs. "Zähme mich", sagte der Fuchs. "Was heißt 'zähmen'?" fragte der kleine Prinz. "Es bedeutet, sich 'vertraut machen', sagte der Fuchs. "Vertraut machen?" "Gewiß", sagte der Fuchs. "Noch bist du für mich nichts als ein kleiner Junge, der hunderttausend kleinen Jungen völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt....". Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterscheidet. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken. Und dann schau! Du siehst dort drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist der Weizen zwecklos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber du hast weizenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich gezähmt hast. Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen." "Ich beginne zu verstehen", sagte der kleine Prinz. "Es gibt eine Blume... ich glaube, sie hat mich gezähmt...". [...] Als er den Fuchs gezähmt hatte, ging der kleine Prinz, die Rosen wiederzusehen. "Ihr gleicht meiner Rose nicht, ihr seid noch nichts", sagte er zu ihnen. "Niemand hat sich euch vertraut gemacht, und auch ihr habt euch niemandem vertraut gemacht. Ihr seid, wie mein Fuchs war. Der war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend andere. Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht, und jetzt ist er einzig in der Welt!" Und die Rosen waren sehr beschämt. "Ihr seid schön, aber ihr seid leer", sagte er noch. "Man kann für euch nicht sterben. Gewiß, irgendwer, der vorübergeht, könnte glauben, meine Rose ähnele euch. Aber in sich selbst ist sie wichtiger als ihr alle, da sie es ist, die ich begossen habe. Da sie es ist, die ich unter den Glasschurz gestellt habe. Da sie es ist, deren Raupen ich getötet habe (außer der zwei, drei um der Schmetterlinge willen). Da sie es ist, die ich klagen oder sich rühmen gehört habe oder auch manchmal schweigen. Da es meine Rose ist." Und er kam zum Fuchs zurück. "Adieu", sagte er..."Adieu", sagte der Fuchs. "Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig. Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen", sagte der Fuchs. "Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich..."

Aus "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupèry